In diesem FWF-Projekt wurde am Beispiel jüdischer Sportfunktionäre das soziale Feld des Sports als Ort von Identitätspolitik im Wien der Zwischenkriegszeit rekonstruiert. Verglichen werden Möglichkeiten und Grenzen jüdischer Partizipation in unterschiedlichen sozialen Feldern, sowie Wechselwirkungen und Netzwerke, die diese Felder verbanden.
Mit Hilfe von quantitativen Vereinsdaten und statistischen Daten zur jüdischen Bevölkerung Wiens wurde eine Demografie jüdischer Sportfunktionäre zu erstellt. Zweitens wurden deren mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Form einer Gruppen- bzw. Kollektivbiografie analysiert. Neben den Aktivitäten im und für den Sport wurde besonderes Augenmerk auf die Tätigkeit der untersuchten Personen im Beruf bzw. in den Medien und in der Politik gelegt. Des Weiteren werden einzelne Biografien als Fallbeispiele nachgezeichnet.
Auf diese Weise versucht das Projekt auch die Aufgabe einer Sichtbarmachung verschütteter Traditionen des Wiener Sports und popularer Kulturen Wiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorzunehmen.

Projektmitarbeiter
Die Daten für diese Website wurden im Rahmen des FWF-Projekts „Jewish Sports Officials in Interwar Vienna: Performative Identities and Jewishness between „Assimilation“ and Zionism, Acceptance and Antisemitism“ erhoben und verarbeitet.
Projektleiter: Roman Horak. MitarbeiterInnen: Susanne Helene Betz (u.a. Daten zur Hakoah), Sema Colpan, Bernhard Hachleitner, Alexander Juraske, Matthias Marschik, Georg Spitaler, David Winterfeld.


Auswahlkriterien und Quellen
Die entscheidende Klammer für die Auswahl bildete zum einen das Kriterium, dass sich die betroffenen Personen in den Jahren zwischen 1918 und 1938 auf dem Terrain des modernen Sports in Wien, genauer gesagt der Leitung und Organisation des Sports, betätigt hatten. Zum anderen, dass sie „jüdisch“ waren. Während der erste Teil recht einfach abzugrenzen ist, indem er durch eine Funktion im Vorstand eines Sportvereins oder -verbands definiert ist, birgt die Frage nach dem „Jüdischen“ einige Schwierigkeiten. So erweisen sich Definitionen des Jüdischen – zwischen religiösen, nationalen und politischen Zugängen, gerade in einer Post-Shoah-Perspektive – bekanntlich als mehrschichtig und komplex. Zudem offenbaren sich – zumindest in manchen Fällen – auch in den zeitgenössischen Debatten Widersprüche zwischen Selbstdefinitionen und Fremdzuschreibungen.
Einerseits gibt es die formalen, religiösen Kriterien: Als Juden (bzw. Jüdinnen) galten in unserem Projekt alle, die sich in einem religiösen Sinn selbst als solche bezeichneten, also etwa Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) waren – unabhängig davon, ob sie im strengen Sinn der Halacha Juden bzw. Jüdinnen waren, also eine jüdische Mutter hatten oder nicht.
In der Auswahl unseres Samples haben wir auch die Mitgliedschaft in einem jüdischen Verein, etwa beim SC Hakoah, Makkabi, bei Hapoel oder Hasmonea, als hinreichendes Kriterium erachtet.
Dazu kommen Fremdzuschreibungen: Ein Austritt aus der IKG oder die Konversion zum Christentum schützten schon vor 1938 nicht unbedingt vor Antisemitismus. Personen, die sich selbst nicht als Juden und Jüdinnen betrachteten, konnten von ihrer Umwelt trotzdem als solche definiert werden. Vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus schützte das Ablegen der jüdischen Religionszugehörigkeit ohnehin nicht – oder nur sehr begrenzt. Die Nationalsozialisten schufen mit den Nürnberger Gesetzen 1935 eine zwangsweise Fremddefinition, wer als Jude zu gelten habe – und damit der Verfolgung ausgesetzt war.
Die Frage der Definition(en) des Jüdischen war unmittelbar mit gesellschaftlicher, kultureller und politischer Macht verknüpft. Aus diesen Gründen kommen auf dieser Website auch Daten von Personen vor, von denen nicht klar ist, ob sie sich selbst als Juden und Jüdinnen betrachtet haben – sofern es Belege dafür gibt, dass sie von anderen als Juden bzw. Jüdinnen gesehen wurden.

Zur Auswahl war ein mehrstufiges Verfahren notwendig, um zu einem nach den oben genannten Kriterien definierten Sample zu gelangen. In einem ersten Schritt ging es um das Erschließen der Basisdaten von VereinsfunktionärInnen – vorerst noch ohne die Unterscheidung jüdisch/nicht jüdisch. Dabei erwies sich ein Paragraf des österreichischen Vereinsgesetzes als hilfreich: Wird ein neuer Vorstand gewählt, muss ein Verein eine Liste mit Namen und Adressen der Vorstandsmitglieder an die Vereinspolizei schicken. Diese Listen werden von der zuständigen Behörde, in Wien der Bundespolizei, sonst von den Bezirkshauptmannschaften, aufbewahrt, solange der Verein existiert. Unterlagen zu aufgelösten Vereinen gibt es – zumindest theoretisch – im Wiener Stadt- und Landesarchiv, andere im Österreichischen Staatsarchiv. Praktisch sind sie dort aber nur sehr rudimentär vorhanden.
Diese Quellenlage verschob den Fokus noch weiter zum (Spitzen-)Fußball, der wegen seiner popularkulturellen Bedeutung ohnehin von Beginn an einen besonderen Stellenwert im Projekt einnahm. Nicht immer finden sich in den Unterlagen der Vereinspolizei aber vollständige Vorstandslisten. Aus den Vereinsquellen konnten schließlich deutlich mehr als 3.000 Namen von SportfunktionärInnen, die bei etwa 40 Vereinen und elf Verbänden tätig gewesen waren, eruiert werden – in den meisten Fällen ergänzt durch eine oder mehrere Adressen, manchmal sogar mit ergänzenden Angaben wie Geburtsdatum oder Beruf. Ergänzend wurden Zeitungsberichte ausgewertet, etwa über Generalversammlungen von Vereinen, die häufig Listen der gewählten Vorstandsmitglieder enthielten.
Um klären zu können, wer von diesen FunktionärInnen jüdisch (nach einer der genannten Definitionen) war, folgte an erster Stelle der Versuch, die formale Frage der Zugehörigkeit zur Israelitischen Kultusgemeinde zu klären. Im Archiv der IKG Wien sind Daten jener Personen zu finden, die mit der Kultusgemeinde in religiösen Belangen in Kontakt gekommen sind, sei es bei Geburt, Heirat, Austritt aus der Kultusgemeinde oder Tod. Manche Personen waren im Abgleich mit den Unterlagen der Vereinsbehörde bereits mit Sicherheit zu identifizieren: wenn Namen und Adresse übereinstimmen oder die Vorstandslisten weiterführende mit den IKG-Daten übereinstimmende Informationen lieferten, wie etwa das Geburtsdatum. Wenn eine Namenssuche in den Unterlagen der IKG ergebnislos verlief, hieß dies jedoch noch nicht zwangsweise, dass diese Person kein Jude oder keine Jüdin war. Viele der fraglichen Personen wurden nicht in Wien geboren, ihre Geburt wurde also nicht bei der Wiener Kultusgemeinde gemeldet, das kann auch für eine Heirat zutreffen. Ein sehr häufiger Fall war aber, dass für uns eine eindeutige Namenszuordnung nicht möglich war, etwa aufgrund von Namenshäufigkeiten bzw. fehlenden Geburtsdaten, und keine zwischen Vereinsbehörde und IKG übereinstimmende Adresse existierte. In diesen Fällen waren weitere Recherchen notwendig.
Im Wiener Stadt- und Landesarchiv werden die historischen Wiener Meldeunterlagen archiviert, die sich für unser Projekt als unverzichtbare Quelle erwiesen haben. Auf einem Meldezettel sind nicht nur Name und Adresse angeführt, sondern auch Geburtsdatum, Ehepartner, Kinder, allfällige Beteiligungen an Firmen, akademische Titel und das Religionsbekenntnis. Durch die Abgleichung der Namen und Adressen unklarer Fälle aus den Listen der Vereinspolizei mit den Daten auf den Meldezetteln ließen sich viele Fragen beantworten. Diese gesammelten Informationen bildeten die Basis für diese Datenbank.